Ist das nicht paradox: wenn das Jahresziel kaum noch zu erreichen ist, weiß man wenigstens ganz genau, worum’s geht. Mehr Umsatz (Verkaufsleiter, Verkäufer), mehr Umsatz und weniger Kosten (Geschäftsführer) – das ist relativ klar und selbstverständlich. Jeder mobilisiert die letzten Kräfte, um jeden auch noch so unwahrscheinlichen Umsatz wird gekämpft.
„Schwieriger“ wird die Situation dagegen fast, wenn etwa zur Jahresmitte schon abzusehen ist, dass das Ziel, sei es der Umsatz oder das Betriebsergebnis, relativ sicher erreicht werden wird oder sogar deutlich übertroffen werden könnte.
Verkaufsleiter in Medienunternehmen wissen dann, dass diejenigen ihrer Mediaberater, die einigermaßen gut planen und ihren Kundenstamm im Griff haben, genau dachdenken.
„Soll ich wirklich den Bonus oder die Prämie mitnehmen, indem ich deutlich über dem eigentlichen Ziel lande? Wie wird sich das auf meine Situation im Folgejahr auswirken? Werden die Ziele dann beim Forecast entsprechend hochgesetzt, so dass ich im nächsten Jahr womöglich gar Schwierigkeiten hab, meine normale Provision zu erreichen? Braucht bloß ein wichtiger Kunden zu wackeln, und schon bin ich im Schlamassel…“
Je nach Mentalität, Mut und Abgebrühtheit ergeben sich dann verschiedene Optionen:
Der Himmelsstürmer:
„Ich geb‘ Gas, egal was dann passiert. Eigentlich bin ich ja der Meinung, dass in meinem Verkaufsgebiet, bei meinem Kundenpotential eh noch deutlich mehr gehen müsste, und dass mein Ziel relativ vorsichtig geplant ist. Und ich traue mir auf jeden Fall zu, auch im Folgejahr noch eine Schippe drauf zu legen. Wär‘ doch gelacht…“
Über ihn freut sich der Verkaufsleiter, er wird allerdings aufpassen müssen, dass dieses Exemplar nicht eines Tages an seinem (des Verkaufsleiters) Stuhlbein sägt…
Der Vorsichtige:
„Auch wenn es womöglich den einen oder anderen Kunden gibt, bei dem ich noch ein bisschen Umsatz rausholen könnte – ich will nichts überstrapazieren. Meine Kunden werden es mir danken und durch langjähriges Vertrauen belohnen, wenn ich nicht dauernd auf der Matte stehe und jeden Euro aus ihrem Werbebudget herausquetschen will. Ich schaue also, dass ich möglichst genau auf dem Ziel lande, so dass ich auf jeden Fall die volle Provision bekomme. Drüber werde ich auf keinen Fall landen, sonst weiß ich ja genau was passiert: der Forecast wird heraufgesetzt und ich bekomme im Folgejahr meine Probleme und stehe mit dem Rücken zur Wand. Man weiß ja nie…“
Er wird seinem Chef ausführlich erklären können, warum bei seinem Kundenstamm das Ziel nur knapp zu erreichen sein wird, auch wenn’s bei den Kollegen gerade mal ein bisschen besser läuft.
Der Taktierer:
„Ich habe meine persönliche Exceltabelle und die Budgets meiner Kunden genau im Visier. Ich weiß genau, wo ich wann landen werde und welchen Kunden ich empfehle, einen Teil des Budgets doch lieber gleich für das Folgejahr einzuplanen. Und ich weiß, dass ich diese Empfehlung gegen Ende des laufenden Jahres noch mal revidieren kann, wenn es denn doch etwas eng werden sollte. Ich jongliere also mit meinem Ziel, der Provision, den Budgets meiner Kunden und letztendlich auch mit den Erwartungen meines Chefs. Klappt nicht immer hundertprozentig, aber doch meistens ziemlich gut. Damit stimmt das eigene Einkommen, der Stress wird auch nicht zu groß, Kunden und Vorgesetzte sind in der Regel auch zufrieden. Das Leben ist schön…“
Meistens kennt sein Chef diesen Pappenheimer ganz genau und lässt ihm die Einschätzung, dass er (der Taktierer) eigentlich der Chef im Ring ist. Am Jahresende bzw. bei der nächsten Zielvereinbarung ziehen beide ihre Stirn in sorgenvolle Falten, beide wissen, dass sie wieder mal Schauspieler sein müssen/dürfen, und beide werden sich auf ein neues Ziel verständigen, das eben nur ein kleines bisschen über dem aktuellen liegt.
Natürlich gibt es auch Zwischen- und Übergansformen dieser Typen. Und natürlich sind die Verkaufsleiter in Medienunternehmen auch Variationen dieser Typen. Und sie werden wieder mal die Provisionsmodelle überdenken und versuchen, die Motivation ihrer Mitarbeiter durch geschickte Provisions- und Zielvereinbarungsverfahren zu stärken und weiter zu entwickeln. Und zwischendurch werden sie tief durchatmen und zu sich selber sagen, dass eben doch jeder so ist wie er ist, und dass nicht mal die schönste Prämie daran etwas ändert. Oder?
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