Coaching ist eine Form der Beratung. Edgar Schein hat zur Unterscheidung der verschiedenen Beratungsformate ein hilfreiches Modell geliefert (“Prozessberatung für die Organisation der Zukunft“. Köln, 2000). Er beschreibt zwei grundsätzlich verschiedene Beratungsphilosophien:
1. die Expertenberatung
2. die Prozessberatung
Innerhalb der Expertenberatung gibt es wiederum zwei Varianten.
Im so genannten Telling-and Selling-Modell hat der Kunde einen definierten Informationsbedarf, er kennt diesen auch genau, und er engagiert auf dieser Grundlage einen Experten, der ihm die gewünschten Informationen liefern kann.
Im Unterschied dazu kennt beim Arzt-Patienten-Modell der Kunde seinen Bedarf nicht oder nicht vollständig. Der Berater hat in diesem Fall auch die Aufgabe, dem Kunden bei der genauen Ermittlung seines Bedarfs behilflich zu sein. Er soll also zumindest einen Teil der Diagnose mit beisteuern. Er soll darüber hinaus aber auch gleich Vorschläge zur Therapie liefern.
Bei der Prozessberatung kennt weder der Klient noch der Berater den genauen Bedarf, der Berater hilft dem Klienten dabei, seinen Bedarf selber genau zu formulieren und zu analysieren. In einem zweiten Schritt unterstützt der Berater den Klienten dabei, für den jeweiligen Bedarf passende, zielgenaue Lösungsschritte zu identifizieren und diese auch umzusetzen. Die grundsätzliche Hypothese bei der Prozessberatung lautet also, dass der Klient der eigentliche Experte für sein Anliegen, für sein Feld, für seine Ressourcen, und auch für die umsetzbaren Lösungsvarianten ist, der Berater oder Coach dagegen der Experte für den Prozess der Problemdefinition und der Lösungsfindung. Coaching wird in aller Regel eindeutig dem zweiten Modell, also der Prozessberatung zugeordnet. Einige Protagonisten im Coaching Markt äußern die Überzeugung, dass der Coach für eine wirkungsvolle Arbeit vom Feld des Klienten gar nicht allzu viel wissen muss.
Inzwischen setzt sich allerdings die Meinung immer mehr durch, dass eine einigermaßen umfassende Branchen-und Feldkompetenz beim Coach durchaus hilfreich ist. Ich persönlich stelle manchmal fest, dass zumindest am Anfang einer Coaching-Beziehung das Vertrauen beim Klienten leichter zu gewinnen ist, wenn ich Kenntnisse aus seinem Markt mitbringe. Natürlich ist dann im Verlauf des Coachingprozesses immer wieder darauf zu achten, dass beide Beteiligte nicht in eine Art „Branchen-Talk“ abgleiten. In diesem Sinne erscheint es manchmal fast auch ein bisschen hinderlich, zu viele Bezüge zum Markt des Klienten zu haben. Allerdings wird sich auch der branchenfremde und streng prozessorientierte Coach zu Beginn der gemeinsamen Arbeit zumindest einen Überblick über den Markt seines Klienten und dessen Bezüge innerhalb dieses Marktes verschaffen (müssen).
Die Abgrenzung ist dementsprechend in aller Regel fließend, für die Mischformen schlägt Professor Harald Geißler in seinem Buch „E-Coaching und Online-Beratung: Formate, Konzepte, Diskussionen” (Wiesbaden 2012) den Begriff der „subsidiären Beratung“ vor. Er meint damit „… eine Beratung, die durch Prozessberatung dominiert wird und dabei nicht notwendigerweise, aber oft auch eine gewisse Beimischung von Expertenberatung aufweist.“ In der Praxis kenne ich die Situation, dass sich Klienten am Anfang der gemeinsamen Arbeit doch einen gewissen Anteil an „Tipps und Tricks” wünschen und erst mal überrascht sind, wenn der Coach “nur” Fragen stellt. Wenn sich dann allerdings herausstellt, dass die so gefundenen Antworten eben die “eigenen” sind, die also ganz deutlich die Handschrift des Klienten tragen, weicht die anfängliche eventuelle Skepsis schnell…
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