Bin ich inzwischen ein Aktivist? Seit ich mich aus meiner aktiven Unternehmer-Rolle in der Medien- und Marketingwelt zurückgezogen habe, bin ich in der Umwelt-, speziell in der Klimabewegung aktiv. Das bedeutet, dass ich mich viel mit entsprechenden Themen, Institutionen, Informationen und Menschen auseinandersetze und mich teilweise auch selber einbringe. Warum eigentlich?
Warum beschäftigt sich jemand in meiner Lebensphase mit doch recht anstrengenden und teilweise auch deprimierenden Gedanken und Entwicklungen, mit Sorgen und Ohnmachtsgefühlen, mit der Suche nach Chancen und Möglichkeiten, mit der Hoffnung, „kurz vor zwölf“ doch noch etwas bewirken zu können? Die Motivation kommt aus verschiedenen Ecken, ich teile sie mit vielen anderen engagierten Menschen, die wichtigsten Treiber will ich hier zusammenfassen.
Liebe
Klingt vielleicht gleich mal etwas kitschig, ich weiß. Ist aber so. Die Liebe zu meiner Familie, zu meinen Kindern und Enkelkindern, ist ein wichtiger Treiber für mein Engagement. Wenn ich darüber nachdenke, wann meine Enkelkinder so alt sein werden wie ich jetzt, und wenn ich mir diese Jahreszahl zum Beispiel auf der TimeLine von En-Roads, dem Klimasimulator, anschaue, dann weiß ich, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass unsere Kinder „es mal besser haben“ werden. Das war die Devise und auch die begründete Hoffnung unserer Elterngeneration. Meine Familie steht bei solchen Gedanken und Gefühlen zwar an erster Stelle, ist aber auch Stellvertretung für viele andere kleine und große Menschen, Lebewesen, Leben insgesamt. James Lovelock hat mit seiner Gaia-Theorie ein schönes Bild angeboten, die ganze Biosphäre als einen lebenden Organismus zu verstehen, von dem wir alle ein Teil sind. Es wärmt einem das Herz, wenn man sich in solch einem Sinne lebende Systeme als miteinander verwoben, aufeinander bezogen und miteinander wachsend – und vergehend – vorstellen kann.
Verantwortung
Ein großer Teil der Treibhausgase wurde in den letzten dreißig Jahren emittiert. Dass diese von Menschen verursachten Emissionen verantwortlich sind für die sich abzeichnende Katastrophe, wissen wir mindestens seit dem ersten Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“. Wir hätten es also wissen können, wissen müssen, und uns entsprechend verhalten müssen. Es gibt in unser aller Leben natürlich viele Faktoren, die wir nicht beeinflussen können und konnten, für die wir also auch nicht verantwortlich sind. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass meine Generation für einen großen Anteil an dieser Bedrohung verantwortlich ist, für mich bedrückend, die Vorwürfe der jungen Generation diesbezüglich kann ich sehr gut verstehen. Bill McKibben und seine Initiative „TH!RD ACT“ formulieren es so:
„…as a generation we have unprecedented skills and resources that we can bring to bear. Washington and Wall Street have to listen when we speak, because we vote and because we have a large—maybe an overlarge—share of the country’s assets. And many of us have kids and grandkids and great grandkids: we have, in other words, very real reasons to worry and to work….“
Diesen Gedanken kann ich folgen, ihnen fühle ich mich verpflichtet.
Sorge
Die wissenschaftlich fundierten Szenarien gibt es in Hülle und Fülle, an ihrer Relevanz ist nichts mehr zu hinterfragen. Der von Menschen gemachte Klimawandel hat unabsehbare Folgen, in allen Regionen der Erde, für alle Bevölkerungsschichten und noch für eine sehr lange Zeit – selbst wenn es uns gelingen sollte, die Emissionen sehr schnell zurück zu fahren. Die für das Weltklima relevanten „Kippunkte“ sind deutlich beschrieben, auch ihr irreversibler Charakter und ihre drohenden Auswirkungen. Starkwetter-Ereignisse und deren Folgeschäden, zusätzliche Hitzetote, Erhöhung des Meeresspiegels, Abschmelzen der Gletscher und der Pole, Migrationswellen…. Wer sich die Berichte des IPCC auch nur in der Zusammenfassung anschaut und dann nicht gleich wieder wegschaut, MUSS sich Sorgen machen, MUSS Angst bekommen. Ich habe diese Angst jedenfalls, und sie treibt mich um.
Zorn
Die wichtigen Player der Fossilbranche wissen seit langer Zeit ganz genau, welche Folgen ihr Geschäftsmodell für uns alle, für die gesamte Biosphäre haben. Die eigenen Forschungsabteilungen von Exxon, Shell & Co. haben bereits in den achtziger Jahren sehr detailliert beschrieben, wie sich das Verbrennen der fossilen Rohstoffe, von Öl, Gas und Kohle also, auf die Entwicklung von Klima und Atmosphäre auswirken werden. Und diese frühen Forschungen sind bemerkenswert zutreffend, sie wurden durch die Messwerte in der Zwischenzeit sehr genau bestätigt. Und trotzdem! Trotzdem haben diese Organisationen die Warnungen ihrer eigenen Fachleute in den Schubläden verschlossen und ihre hoch profitablen Geschäfte weiter betrieben. Sie haben natürlich Nachfrage gefunden, bei uns allen. Sie haben allerdings auch perfide Desinformationskampagnen entwickelt und finanziert, um zum Beispiel viele der unabhängigen Warnungen aus der Wissenschaft zu diskreditieren. Und sie haben willfährige Distributoren in den Medien, in der Politik und anderen Gesellschaftsbereichen gefunden und systematisch aufgebaut. In der Juristerei nennt man so etwas „vorsätzlich“. Die Dreistigkeit und die kriminelle Energie machen mich wütend.
Gerechtigkeit
Ökologie und Ökonomie sind eng verflochten, die Art des Wirtschaftens hat einen maßgeblichen Einfluss auf Ressourcenverbrauch, Abfall, Biodiversität, Emissionen und vieles mehr. Es wird in den weltweiten Diskussionen immer deutlicher, dass eine „Lösung“ der Klimafragen nicht ohne eine kräftige Korrektur bei Produktion, Konsum und Verteilung klappen wird.
„…Schon die Emissionen, die Milliardär*innen durch eigenen Konsum mit Privatjets, Superjachten und Luxusvillen verursachen, betragen das Tausendfache der weltweiten pro-Kopf-Emissionen. Wenn man sich zudem die Emissionen ansieht, die durch ihre Investitionen mitverursacht werden, sind ihre Treibhausgasemissionen um ein Vielfaches höher. Die 125 untersuchten Milliardär*innen haben zusammen Investitions-Emissionen, die dem Treibhausgas-Fußabdruck ganzer Länder entsprechen…“ (OXFAM)
Ich bin bin ganz sicher jemand, der den Sinn und Nutzen von Wettbewerb kennt, Selbstverantwortung und Leistungsbereitschaft sind mir wichtig. Aber wenn die Verteilung völlig aus dem Ruder läuft, wenn wirtschaftliche Macht in so wenigen Händen kumuliert, läuft einfach einiges falsch. Und muss korrigiert werden.
Gerechtigkeit ist zudem noch ein viel drängenderes Problem, wenn man sich die Verteilung zwischen den Regionen auf der Welt anschaut und die Folgen des Kolonialismus auf die Länder der südlichen Halbkugel. Auf diejenigen also, die jetzt schon massiv an den Auswirkungen der Klimakatastrophe zu leiden haben.
Diese Ungerechtigkeit verträgt sich absolut nicht mit dem Wertekostüm, mit dem ich aufgewachsen bin.
Freiheit
Der Begriff Freiheit wurde und wird in der Philosophie immer wieder rauf und runter diskutiert. Mein Freiheitsbedürfnis war und ist immer ausgeprägt und hat sicher einen Teil dazu beigetragen, dass ich mich für ein Berufsleben als Selbständiger entschieden habe. Ich und meine ZeitgenossInnen haben das große Glück, in einer Zeit und einer Region leben zu dürfen, die uns viele Wahlmöglichkeiten lässt, andere Menschen haben diese Freiheiten nicht. Die Freiheit der anderen liegt mir auch sehr am Herzen, dazu zitiere ich ein paar Sätze aus dem Urteil des Bundesverfassungsgereichts vom April 2021:
„…Das Klimaschutzgesetz verpflichtet dazu, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 % gegenüber 1990 zu mindern…Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden sind durch die angegriffenen Bestimmungen aber in ihren Freiheitsrechten verletzt. Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030. Dass Treibhausgasemissionen gemindert werden müssen, folgt auch aus dem Grundgesetz…Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind. ..“
Wirksamkeit
Auch wenn man manchmal verzweifeln möchte, weil viel zu wenig und viel zu langsam passiert, das die drohenden und bereits existierenden Krisen abmildern oder vermeiden könnte – es gibt trotzdem eine unglaubliche Fülle an Entwicklungen, die Hoffnung bringen und ermutigen. Es ist viel erreicht worden:
- Das Ozonloch schließt sich (FCKW-Verbot)
- Der saure Regen ist deutlich zurück gegangen (Entschwefelung, bleifreie Kraftstoffe etc.)
- DDT-Verbot (siehe „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson)
- Das Paris-Abkommen von 2015 hat weltweit verbindliche Reduktionsziele für die Emission von Treibhausgasen gesetzt und wurde von praktisch allen Nationen unterschrieben
- Die erneuerbaren Energien erleben einen rasanten Aufstieg und ermöglichen uns den Ausstieg aus dem Verbrennen von fossilen Ressourcen.
- Fridays for Future und viele, viele andere tragen dazu bei, dass die Wichtigkeit von Umwelt- und Klimaschutz immer mehr Menschen bewußt wird.
Das sind nur ein paar Beispiele für eine starke und wirksame internationale Bewegung, die an vielen Stellen auf verschiedenste Weise dazu beitragen, die Klimakrise zu bekämpfen. Eine beeindruckende Sammlung von Initiativen, Organisationen, Menschen und Konzepten findet man bei www.regeneration.org
Das sind sie also, die wichtigsten Motive, welche mich antreiben und in Bewegung halten, für eine lebenswerte Zukunft zu arbeiten. Ich tue das auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel indem ich bei einer örtlichen Bürgerenergiegenossenschaft helfe. Oder indem ich Workshops und Präsentationen mit dem En-ROADS Klimasimulator halte. Oder indem ich Coaching-KlientInnen oder auch Organisationen zur Seite stehe, wenn sie sich mit Fragen und Problemen beschäftigen, die von den Sorgen um Klima und Umwelt aufgeworfen werden.
„..Menschen setzen sich nicht überall auf der Welt ein, weil sie wissen, dass das allein reicht. Sondern weil sie wissen, dass es irgendwer irgendwo anders auch tut. Weil sie wissen, dass jemand auf sie zählt…“ (Luisa Neubauer)
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